„Wer keinen
Spaß hat,
verschwendet
seine Zeit.“

Giorgio Chiellini, Fußballprofi und früherer Kapitän der Italienischen Nationalmannschaft, und PUMA CEO Bjørn Gulden im Gespräch über Leadership, Niederlagen und positives Denken in schwierigen Zeiten.

Giorgio, 2021 haben die Azzurri mit dir als Kapitän den Titel bei der Euro 2020 geholt. Was war das für ein Gefühl, mit der italienischen Nationalmannschaft Großartiges zu erreichen?

Giorgio: Der Sommer 2021 war sowohl fantastisch als auch unerwartet. Ich hatte mich auf die Europameisterschaft gefreut wie ein Kind auf eine Eistüte. Für dein Land anzutreten ist ein großartiges Gefühl. Immer wird von uns ein Sieg erwartet und die Hoffnungen der Italiener treiben die Emotionen an. Ich wollte diese Emotionen, die im Rahmen des Turniers aufkommen, genießen und feiern und habe meinen Gefühlen vor meinen Mannschaftskollegen und den Zuschauer*innen an den Fernsehern freien Lauf gelassen. Das war wohl das Geheimnis meines Auftritts bei der Euro 2020.

Bjørn, aus finanzieller Sicht hat PUMA im letzten Jahr Großartiges erreicht. Wusstest du schon immer, dass du eines Tages CEO eines erfolgreichen Unternehmens sein würdest?

Bjørn: Ich war ja auch Fußballspieler, habe mich aber leider sehr früh in meiner Karriere verletzt. Ich wollte immer Profisportler werden, CEO war nie Teil meines Plans. Wenn man Freude an dem hat, was man tut, glaube ich, dass das Ziel nicht immer planbar ist.

Giorgio, du bist Kapitän von Juventus und der italienischen Nationalmannschaft. Liegt dir Leadership, das Anführen von Menschen, im Blut?

Giorgio: Ganz ehrlich? Ja. Ich habe schon ganz am Anfang meiner Laufbahn einen Führungsstil entwickelt. Mir liegt viel daran, meinen Mannschaftskollegen zu helfen, sich zu verbessern und mit ihnen ein Team zu bilden.

Bjørn: Giorgio ist nicht der begabteste Spieler der Welt, aber aufgrund seiner Einstellung und seiner harten Arbeit, gehört er zu denen mit der meisten Schlagkraft. Seine Führungspersönlichkeit inspiriert mich. Wenn er auf dem Spielfeld ist, sind die anderen zehn Spieler besser – darum geht es bei Leadership.

Bjørn, kann man Leadership deiner Meinung nach lernen oder wird man mit den entsprechenden Eigenschaften geboren?

Bjørn: Es gibt viele Wege, ein Anführer zu sein. Ich denke, Leadership ist sehr komplex und sehr individuell. Man muss seinen Weg finden und erkennen, dass man mit dem eigenen Stil Einfluss auf Menschen ausüben kann. Auf alle Fälle braucht man Selbstvertrauen, denn damit kann man Leistung abliefern und andere zum Besserwerden motivieren. Die Persönlichkeit ist der entscheidende Faktor.

Wie würdest du deinen Führungsstil beschreiben?

Bjørn: Ich arbeite mit 16.000 Menschen in unserem Unternehmen und versuche, durch Vorbild zu führen, Menschen zu motivieren, freundlich und nahbar zu sein. Manchmal muss man sich zurücknehmen, manchmal aber auch im Vordergrund stehen.

Bjørn, du hast schon oft gesagt, dass Giorgio dein Vorbild ist. Was genau schätzt du an seinem Führungsstil?

Bjørn: Für ihn kommt die Mannschaft an erster Stelle. Außerdem hat Giorgio die Fähigkeit, Dinge drei Sekunden schneller als jeder Durchschnittsspieler zu sehen. Deswegen spielt er auch noch – mit 37 Jahren.

Giorgio, die Euro 2020 gegen England wurde im Elfmeterschießen entschieden. Was hast du davor zu deinem Team gesagt?

Giorgio: Ich bin der letzte vor dem Torwart, das ist sicher. Aber vor einem Elfmeter hat eher der Trainer das Sagen, nicht der Kapitän.

Bjørn, gibt es im Geschäftsleben Momente, die sich mit einem Elfmeterschießen vergleichen lassen?

Bjørn: Die Coronapandemie war unser Elfmeterschießen. Die Situation war für uns alle neu und der Druck war groß – wie beim Elfmeter. Da muss man mentale Stärke beweisen, wie das auch bei Sportlern ist. Vor 80.000 Zuschauer*innen zu spielen oder eine Rede vor 10.000 Menschen zu halten ist nicht so einfach, wie man vielleicht denkt.

Giorgio, wie verarbeitest du eine Niederlage in einem wichtigen Spiel?

Giorgio: Das ist schwer. Das Wichtigste ist wohl das Gleichgewicht – in den besten und den schlechtesten Momenten. Man muss sich fragen: Was kann ich noch verbessern? Um die Mannschaft wieder aufzubauen, muss man die passenden Worte finden und die richtige Haltung an den Tag legen. Wir spielen zum Glück jede Woche. Nach einem misslungenen Match besprechen wir, was nicht gelaufen ist. Bis zum nächsten Spiel müssen wir das dann ändern.

Bjørn, als du bei PUMA angetreten bist, ging es dem Unternehmen nicht so gut. Wie hast du dein Team motiviert, die Wende für die Marke herbeizuführen?

Bjørn: Ich habe den PUMAs erklärt, dass sie für ein Unternehmen arbeiten, das großes Potenzial hat. Man läuft nicht immer ganz vorne mit und man arbeitet auch nicht immer für ein Unternehmen, das gute Ergebnisse liefert. Aber wenn man selber das Potenzial erkennt, muss man dafür sorgen, dass die Kolleg*innen es auch sehen. Man muss Ziele setzen, die für das Team erreichbar sind, damit Erfolgserlebnisse möglich sind. Wer schon mal Erfolg gehabt hat, möchte mehr davon.

Giorgio, in deiner Biografie schreibst du, wie wichtig es ist, die Gedanken des Stürmers vorauszuahnen. Wie machst du das?

Giorgio: Vor jedem Spiel wende ich circa eine halbe Stunde dafür auf, meine Gegner zu analysieren. Ich schaue mir ihre bevorzugten Spielzüge an, die Situationen, die zu einem Tor führen, und das Dribbeln. Während des Spiels versuche ich dann, ihr übliches Spiel zu durchkreuzen.

Bjørn, musst du auch vorhersehen können, was der Wettbewerb machen wird?

Bjørn: Mir geht es nicht so sehr um den Wettbewerb; in diesem Bereich unterscheiden wir uns. Ich fokussiere mich mehr auf unsere Kund*innen und darauf, was wir für sie tun können. Wenn man sich zu sehr auf die Konkurrenz konzentriert, verliert man die Kundschaft und das Geschäft als Ganzes aus den Augen.

Giorgio, du lächelst oft, wenn du auf dem Rasen bist. Wie wichtig ist dir eine positive Einstellung?

Giorgio: Ich habe es im Laufe meiner Karriere geschafft, meine Einstellung zu ändern. Heute weiß ich, dass meine Haltung, Freude, Glücklichsein und eine positive Einstellung zur Verbesserung meiner Leistung beitragen. Ich kann mich heute besser auf die Situation konzentrieren als damals, als ich wütend wurde und meine Kollegen angeschrien habe. Dadurch habe ich viel Energie auf dem Spielfeld verloren. Ich wünschte, ich hätte das früher erkannt.

Bjørn, einer der PUMA-Werte lautet `Be Joyful´. Warum ist das wichtig?

Bjørn: Wer keinen Spaß hat, verschwendet seine Zeit. Man verbringt ja die meiste Zeit mit Arbeiten. Ich bin der festen Überzeugung, dass du besser bist, wenn du Freude an dem hast, was du tust. In unserem Unternehmen geht es um Sport, Mode, Unterhaltung und Musik, alles auf internationaler Ebene. Das macht eine Menge Spaß und ich finde, wir sind privilegiert.

Wie erhaltet ihr euch eure positive Einstellung?

Giorgio: Ich arbeite mit einem Psychologen in unserem Team. Dadurch habe ich gelernt, darüber nachzudenken, was ich anders machen kann. Das ist eine große Herausforderung und passiert nicht über Nacht.

Bjørn: Wenn ich gestresst oder niedergeschlagen bin, mache ich Sport. Ich gehe in die Berge, denn die haben eine psychologische Wirkung auf mich. Was mir auch hilft: die Dinge relativieren, mich umschauen. In der Welt geschieht so manches, das viel schlimmer ist. Mentale Gesundheit ist sehr, sehr wichtig. Meiner Meinung ist es am wichtigsten, den Mut zu haben, über seine Probleme zu sprechen. Das Schlimmste ist, seine Probleme zu verschweigen, denn dann werden sie nur noch größer. Der Schlüssel ist eine Unternehmenskultur der Offenheit und Transparenz, in der sich jeder traut, Dinge anzusprechen. Außerdem sollte man sich etwas suchen, das man gerne macht – so stellt sich wieder ein Gleichgewicht her.

Giorgio, du hast während deiner Fußballkarriere einen Master in Wirtschaft gemacht. Hilft dir das Gelernte auf dem Rasen?

Giorgio: Ja, mir ist es wichtig, mein Gehirn fit zu halten. Das Studium hat mir außerdem geholfen, meine Verbindung zur Außenwelt nicht zu verlieren. Als Profifußballer lebt man ja in einer Blase.

Wärst du gerne Manager, wenn du die Fußballschuhe an den Nagel hängst?

Giorgio: Wenn meine aktive Spielerzeit vorbei ist, würde ich gerne beim Fußball bleiben, vielleicht als Manager von Juventus. Wir werden sehen.