Wie bringt man die beste Leistung unter hohem Druck und wie gewinnt man als Team? Zu diesen Themen unterhielten sich George Russell, Mercedes AMG Petronas F1 Fahrer, und PUMA CEO Arne Freundt vor dem Grand Prix in Miami im Mai 2023.
George, du hast letzte Saison in Brasilien mit deinem Team dein erstes Formel 1 Rennen gewonnen. Wie hat sich das für dich angefühlt?
Für mich war das ein sehr interessanter Moment. Ich habe mein ganzes Leben lang davon geträumt, mein erstes Formel 1 Rennen – und natürlich eine Formel 1 Weltmeisterschaft - zu gewinnen. Aber etwas, worüber ich nie nachgedacht habe, wenn ich von diesem Moment geträumt habe, war, wie sich alle anderen fühlen, die mich auf dieser Reise begleitet haben: meine Teammitglieder, meine Familie, meine Freunde und andere. Zu sehen, wie viel es ihnen bedeutet hat, hat mich wahrscheinlich mehr erfüllt, als als Erster die Ziellinie zu überqueren. Ich denke, das war wirklich die Erfahrung meines Lebens, die ich in diesem Moment gemacht habe. Selbstverständlich werden die Freude und die Emotionen von diesem Tag immer bei mir bleiben.
Arne, letztes Jahr wurdest du CEO von PUMA. Hat sich das für dich auch wie ein Sieg angefühlt?
Ich glaube nicht, dass „Sieg“ das richtige Wort ist. Ich bin seit mehr als 11 Jahren bei PUMA und es war bisher eine großartige Reise. Ich denke, dass ich in diesen Jahren zum Erfolg von PUMA beitragen konnte, und für mich ist es eine Anerkennung, eine Belohnung, dass ich mich jetzt in dieser privilegierten Situation befinde, das Unternehmen mit diesen großartigen Menschen zu führen.
George, in der Formel 1 sind die Unterschiede so knapp, dass zwischen der Pole-Position und dem letzten Platz nur wenige Sekunden liegen. Was unterscheidet bei einem so kleinen Abstand einen guten Fahrer von einem großartigen Fahrer?
Ein guter Fahrer unterscheidet sich von einem großartigen Fahrer dadurch, wie er mit Druck umgeht. Ich denke, jeder Fahrer in der Formel 1 ist in der Lage, Rennen zu gewinnen oder eine Pole-Position zu holen. Aber wenn der Druck steigt, dann zeigen sich die Unterschiede. Nicht jeder kann das und man braucht Talent. Aber nur Talent ohne diese anderen Fähigkeiten bringt nichts. Also musst du weiter hart arbeiten und weiter trainieren.
Arne, glaubst du, dass in der Wirtschaft der Unterschied zwischen gut und großartig so knapp ist wie in der Formel 1?
Dieser Unterschied wird in der Wirtschaft nicht in Sekunden gemessen. Der Unterschied zwischen gut und großartig ist da wahrscheinlich die Einstellung. Großartige Unternehmen verändern sich ständig, fordern sich selbst heraus und sie hinterfragen ihre eigenen Abläufe. Diese Einstellung macht ein Unternehmen großartig. Wenn man aufhört, sich ständig verbessern zu wollen, hört man auf, großartig zu sein.
George, wie fühlt es sich an, wenn du im Qualifying eine fliegende Runde fährst? Wie konzentrierst du dich darauf, in dieser einen Runde alles richtig zu machen?
Wenn man weiß, dass man nur diese eine Chance hat, muss man Vertrauen haben - in sich selbst, in die Maschine unter dir, die Reifen, den Motor, das Auto. Und wenn das alles passt und man das Gefühl hat, dass man sich genug auf diesen Moment vorbereitet hat, ist das eine ziemlich beruhigende Situation. Man fährt über Start/Ziel und die nächsten 60 bis 90 Sekunden können das ganze Wochenende bestimmen. Und es ist so ein schönes Gefühl, wenn du aus der letzten Kurve kommst und Vollgas gibst und weißt, dass du eine gute Runde gefahren bist und darauf wartest, die Ziellinie zu überqueren und deine Ingenieure sagen zu hören: „Du hast die Pole!“ oder „Das war eine großartige Runde!“. Aber du musst dieses Vertrauen in dich selbst haben, und du musst dieses Vertrauen in das Auto haben.
Arne, was entspricht bei PUMA einer fliegenden Runde in der Formel 1?
Jeder Tag bei PUMA ist eine fliegende Runde, weil wir jeden Tag versuchen, schneller als die Konkurrenz zu sein. Aber Spaß beiseite, solche Showdown-Momente sind in unserem Geschäft wahrscheinlich die Produkteinführungen. Wir bereiten die perfekte Produktpalette vor, wir bereiten das Marketing vor, wir bereiten den Vertrieb vor. Und natürlich muss alles in diesem einen Moment zusammenpassen, wenn wir ein Produkt auf den Markt bringen, um wirklich die größte Aufmerksamkeit und Begeisterung beim Verbraucher zu erzeugen. Wahrscheinlich sind unsere fliegenden Runden diese Showdown-Momente, wenn wir ein Produkt auf den Markt bringen.
George, in der Formel 1 können kleinste Fehler eine große Rolle im Rennen spielen. Wie sehr gehst du trotzdem auf Risiko, um schneller als die Konkurrenten zu sein?
Man muss das Risiko immer abwägen und eine Balance finden. Das ändert sich für uns je nach Strecke. In Monaco ruiniert man schon mit einem Fehler von fünf Zentimetern das ganze Wochenende. Auf einer Strecke wie Silverstone ist es etwas offener, etwas schneller und flüssiger. Da kann man es sich leisten wirklich viel zu riskieren. Das muss man dann managen. Man muss schauen, in welcher Position man sich befindet, und erkennen, wann man die Möglichkeit hat, etwas mehr zu riskieren, und man weiß, dass sich das lohnt.
Arne, wie wägt man Risiken in der Wirtschaft ab?
PUMA oder Unternehmen im Allgemeinen sind weniger fehleranfällig als die Formel 1. Fehler passieren und das ist in Ordnung, denn wir haben die Einstellung und auch den Ehrgeiz, das schnellste Sportunternehmen der Welt zu sein. Das bedeutet auch, dass unsere Mitarbeiter*innen in der Lage sein müssen Entscheidungen zu treffen. Und wenn Entscheidungen getroffen werden, können auch Fehler passieren. Aber solange sie mehr gute als schlechte Entscheidungen treffen, ist das ok, weil wir Fortschritte machen. Wir haben auch eine Unternehmenskultur etabliert, bei der wir sagen: „Lass uns über die Fehler reden, lass uns über die schlechten Entscheidungen reden“. Damit stellen wir sicher, dass zukünftige Entscheidungen besser werden. Aber alle Risiken im Voraus ausschließen zu wollen, würde uns erheblich verlangsamen und uns nicht zu einem besseren Unternehmen machen.
George, der Fokus in der Formel 1 liegt auf den einzelnen Fahrern, aber hinter dir steht ein riesiges Team, das das Auto vorbereitet. Was kann man als Fahrer tun, damit das Team wie eine gut geölte Maschine funktioniert?
In der Formel 1 gibt es 20 Fahrer, aber bei Mercedes gibt es 2.000 Leute in Brackley und in Brixworth, die das Auto und den Motor bauen. Und ohne all diese Leute könnten wir unsere Leistung nicht auf diesem Niveau bringen. Ich bin mir sicher, dass es bei PUMA genauso ist. Ihr habt auch dieses große Team, das man braucht, um erfolgreich zu sein. Man braucht Menschen, die hart arbeiten, innovativ sind und sich weiterentwickeln. Es ist einfach, wenn man Erfolg hat, stehen zu bleiben und zu sagen, dass alles gut ist, oder immer den gleichen Weg zu gehen. Aber wenn man immer alles gleich macht, kommt man nicht voran. Man muss diese Grenzen weiter verschieben, denn der Sport entwickelt sich ständig weiter. Innovation schreitet immer voran. Wir müssen die Leute motivieren und positiv denken. Und wenn man im Rennwagen sitzt, fährt man einfach so schnell wie möglich.
Arne, wie wichtig ist solche Teamarbeit für dich bei PUMA?
Ich stimme George völlig zu. Es gibt einen Satz, der mich meine ganze Karriere lang begleitet hat: „Nobody is perfect, but a team can be.“ Diese Überzeugung hat mich immer angetrieben. Ich suche Menschen um mich herum, die mich ergänzen, damit wir als Team erfolgreich sind. Bei PUMA haben wir 20.000 Mitarbeiter und jeder trägt seinen Teil dazu bei, um uns voranzubringen. Wir alle teilen diese Motivation, PUMA größer und schneller als jemals zuvor zu machen. Mit diesem Ehrgeiz startet jeder morgens in den Tag.
George, wie motivierst du dich und dein Team Woche für Woche?
Sich zu motivieren ist einfach, vor allem wenn man Erfolg schon einmal erlebt hat und dann eine Phase mit weniger Erfolg durchmacht. Jeden Tag arbeite ich daran, dieses Gefühl wieder zu erleben, dieses Gefühl, über die Ziellinie zu fahren und zu sehen, wieviel es für alle bedeutet. Und ich weiß, dass das auch für die 2.000 Leute gilt, die für das Team arbeiten. Sie wollen dieses Erfolgsgefühl wieder spüren. Das treibt mich an. Das treibt uns alle jeden einzelnen Tag an, wenn wir morgens aufstehen.
Arne: Ich finde die Perfektion in deinem Sport einfach unglaublich. Ich bin immer wieder fasziniert, mit welcher Präzision jeder einzelne Mitarbeitende arbeitet. Es ist wie ein Schweizer Uhrwerk. Es ist einfach unglaublich und wirklich faszinierend.
George: Wie ein großes Puzzle.
Arne, es gibt so viele externe Faktoren, die einen perfekten Plan durcheinanderbringen können. Wie gehst du mit solchen Situationen um?
Die letzten drei COVID-Jahre haben uns bereits gezeigt, dass ein Plan nur so lange gut ist, bis die Realität ihn einholt. Für uns als Unternehmen war es wichtig, den Plan beiseitezulegen, agil zu sein, die neuen Bedingungen zu verstehen und die richtigen Entscheidungen auf Basis dieser neuen Realität zu treffen. Natürlich brauchen wir Pläne als Orientierungshilfe, die uns wie der Nordstern die Richtung vorgeben. Aber wir müssen immer die Flexibilität haben, zu sagen: „Sind die Situation und die Bedingungen, in denen wir gestartet sind, immer noch dieselben?“ Und dann müssen wir uns flexibel darauf einstellen.
George, was ist deine Strategie, um dem Druck standzuhalten, wenn man ein gutes Ergebnis über die Ziellinie bringen möchte?
Wie du gerade gesagt hast: Man hat einen Plan, aber man muss auch anpassungsfähig sein und damit rechnen, dass sich Dinge ändern. Wenn man zu viel Zeit in die Vorbereitung investiert, um dieses eine Ziel mit dieser einen Strategie zu erreichen, scheitert man, weil immer etwas Unerwartetes passiert. Für mich bedeutet das, anpassungsfähig zu sein, bereit zu sein, sich zu verändern. Mit dieser Einstellung bringen wir Leistung auf höchstem Niveau.
Arne, was ist dein Geheimnis, um cool zu bleiben, wenn der Leistungsdruck steigt?
Laufen gehen. Das ist es für mich. Ich denke, jeder hat sein eigenes Geheimnis, aber für mich ist es das Laufen, damit ich meinen Kopf frei bekomme und etwas Dampf ablasse. Und dann, nach einer schönen Dusche, bin ich wieder bereit für die Arbeit.
George: Manchmal sind die einfachsten Dinge die Besten. Ich habe so viele Menschen gesehen, die alles komplizierter machen, als es ist. Manchmal reicht es schon aus, das Haus zu verlassen, das Büro zu verlassen, laufen zu gehen oder spazieren zu gehen, um den Kopf freizubekommen.
Arne: Ich finde Sport an der frischen Luft ist das Beste, was man machen kann. Gut schlafen, gut essen und los geht‘s.
George: Auch für den Kopf. So viele Menschen verbinden Laufen, Training oder Fitness mit körperlicher Gesundheit. Aber für deine geistige Gesundheit ist draußen sein, zu trainieren, zu laufen, enorm wichtig. Zumindest für mich.
Arne: Ganz genau. Ich bin ein viel glücklicherer Mensch, wenn ich meinen Sport regelmäßig machen kann. Es ist gut für den Geist.
Vielen Dank an Euch für dieses Interview!